Archiv für den Monat: März 2010

Meine neue alte Drogensucht

Ich hatte wirklich gedacht, ich komme davon los. Es fing doch so harmlos an, so leicht und unbeschwert. Als ich schließlich meine schwere Sucht bemerkte, war es bereits viel zu spät. Verdammtes Teufelszeug! Natürlich redete ich mir anfangs ein, ich könne ja jeden Tag damit aufhören. Eben das, was man sich als Süchtiger so einredet, wenn man glaubt, dass man immer noch Herr des Verfahrens sei, dass der eigene Wille sich am Ende stärker zeigen würde als dieses Hämmern im Kopf und dieser schreckliche körperliche Entzug.
Schon in meiner Jugend hatte ich es mal genommen. Meine Mutter brachte es eines Tages mit und ließ mich davon probieren. Mein Gott, wenn sie heute wüßte, was sie damals damit angerichtet hat. Irgendwann, Jahre später, kam ich schließlich davon los und konnte lange ein relativ normales Leben führen. Dann, erst vor kurzem, kam dieser schreckliche Tag, an dem das Verderben wieder seinen Anfang nahm.
Der kleine Neon brachte mal wieder alle Symptome einer beginnenden Grippe mit und das war jetzt, so wenige Wochen vor den Abiprüfungen, das wirklich allerletzte, was er brauchen konnte. Omma Neon, schon immer eine Frau der schrecklichen Tat, fackelte nicht lange und drückte ihm bei einem Besuch eine flache, dunkle Flasche in die Hand, die von weitem wie ein gleichschenkliges Dreieck aussah. Nur mühsam unterdrückte ich einen spitzen Schrei. Sofort erkannte ich das Behältnis wieder, das meine Jugend bestimmt hatte. Eruptiv quollen längst vergangen geglaubte Zeiten hervor aus den Untiefen meiner zugedeckten Erinnerungen an das grelle, schmerzende Licht der eigenen verdrängten Fehlbarkeit.
Ja, das war exakt der Geruch, der mich süchtig gemacht hatte. Tief in der Nacht fand ich mich plötzlich alleine vor der Flasche stehend. Wie ferngesteuert hatte sie mich an einem unsichtbaren Faden durch das Haus in die halbdunkle Küche gezogen und zwang mich, sie fast liebevoll in die Hand zu nehmen. Ich wusste, dass ich verloren war, als ich den ersten Esslöffel vollaufen ließ und den dickflüssigen, süßen Saft mit geschlossenen Augen meiner gierigen Kehle überantwortete.
Seitdem muss ich es jeden Tag tun. Ich weiß nicht, ob ich jemals wieder damit aufhören kann. Ich denke, ich brauche dringend professionelle Hilfe und außerdem ein klärendes Gespräch mit meiner Mutter. Meine monatlichen Kosten für Sanostol Multi-Vitaminsaft sind immens und werden mich bald in den Ruin treiben. Ich weiß, ich muss damit aufhören, aber ich sehe keinen Ausweg mehr. Ich sage Euch, ja ich bitte Euch eindringlich: Glaubt niemals, niemals, niemals, Ihr könntet Sanostol beherrschen, sonst endet Ihr wie ich.
Neon!

Abnehmen mit Betty Bossis Mississippi Cake

Zerwürfnisse aller Art haben meist veritable Auswirkungen auf die Figur – die einen kompensieren ihren Kummer mit Frustessen und gehen auf wie knuddelwarmer Hefeteig, die anderen versenken durch ihre Grübelei Kilos wie Frau Fräulein Caliente Kameras.
Erschwerend kommt hinzu, dass ich seit Januar meine alljährliche „No booze. No exceptions.“-Phase durchziehe und mithin jeder Art von Alkohol noch bis zum Mai die kühle Schulter zeige. Das macht Spaß aber verursacht zusätzlich schwere Turbulenzen in der täglichen Kalorienbilanz.
Nach dem Verlust von 8kg über wenige Wochen und den ersten Rufen „Mehr Drama, Baby“ von Leuten, die mich offensichtlich mit Bruce Darnell verwechselten, wurden also langsam dringliche Gegenmaßnahmen fällig. Ich fackelte nicht lange und griff sofort zur gemeinsten Verführung schlummernder, renitenter Fettzellen: Betty Bossis Mississippi-Cake (Rezept bei Frau Kochtopf). Generell sind Frau Kochtopfs Blogseiten eine gute Idee, wenn man schnell viel zunehmen will. Ich vermute, dass jeder ihrer Kuchen mindestens 3 Mio. Kalorien hat. Und zwar pro abgeschnittener Scheibe. Das war genau das was ich suchte!
In Ermangelung von schweizerischen Branchli verwendete ich eine schnöde (aber brauchbare) Milka Amavel Duo und statt des wassergelösten Kaffeepulvers ordentlich konzentrierten Hardcore-Espresso aus der Jura. Dann ging’s zur Sache:


1. Mixen und vorfreuen


2. Einfüllen und mittig belegen


3. Backen, aufschneiden und essen bis der Arzt kommt! Lecker!

Sympathisches Ergebnis: Am Montagmorgen zeigt die Waage plus 0,5 kg. Wäre ich dann abends nicht ins Fitti gegangen und hätte gestern keinen Waldlauf gemacht, ich glaube fast, es hätte von nachhaltigem Erfolg sein können. Wird Zeit, dass es Mai wird. Rot- und Weißwein sind kalorientechnisch einfach nicht zu kompensieren.
Neon!

Zerwürfnis mit dem Tod

Es dämmert bereits. Die beginnende Dunkelheit drängt mich zur Eile. Unruhig und hastig laufe ich über den Weg zum Hauptportal des Krankenhauses, stürze die Treppen hinauf, lasse endlich meine flache Hand auf den Türbuzzer knallen bis sich die Stimme meldet. „Es ist schon spät…“, sagt sie, und dann, nach einem Zögern, „Gut, kommen sie herein!“. Nach 19:00 Uhr sind Besucher auf der Intensivstation grundsätzlich nicht gern gesehen. Ich kann das verstehen.
„Ihr Vater liegt jetzt dort drüben“, flüstert die indische Krankenschwester. Ihre Stimme klingt seltsam reduziert und gepresst, so wie wenn man sich in einer Aufbahrungshalle etwas zuflüstern würde, wenn man vermeiden will, dass andere Anwesende, tot oder lebendig, es hören könnten. „Danke, dass Sie mich noch hereingelassen haben“, sage ich. Sie lächelt kurz. Das Licht ist schon heruntergedimmt. Es ist nun Schlafens- und Sterbenszeit in den Zimmern entlang der beiden Flure.
Rechts und links vom Bett stehen Batterien von Maschinen, Computern, Monitoren. Dutzende von Informationen und Signalen, die vergeblich nach meiner Aufmerksamkeit schreien. Ruhig und gleichmäßig rotiert die Blutpumpe des Dialysegeräts. „Wusstest du, dass zwei Beutel der Dialyseflüssigkeit 150 Euro kosten?“, sagt mein Vater leise, als erfülle es ihn mit einem gewissen Stolz, dass die Krankenkasse dies nach allem noch für ihn bezahlt. Ich beuge mich über das Bett und greife für ihn nach dem Trinkbecher. Als ich mich wieder aufrichte, sitzt er plötzlich da, am Fußende, schwarz, unbeweglich, abwartend. Ich spüre, dass er mich anschaut, aber ich kann seine Augen nicht sehen. Ein kalter Hauch schlängelt sich durchs Zimmer und umfließt gierig meine Beine.
„Weißt du, wer ich bin?“, sagt eine schneidende Stimme. „Ja. Du bist der, der alle gleich macht…“, antworte ich, „…aber du kommst zu früh! Weder er noch ich werden heute mit dir gehen“. „Ich komme meist ungelegen und bin selten willkommen.“, gibt die Stimme trocken zurück.
„Ich habe nichts gegen dich, jedes Leben hat dich fest gebucht, und es ist gut so. Doch sind deine Methoden oft zu fragwürdig und grausam als dass ich dich wirklich sympathisch finden könnte.“, antworte ich in Richtung des schwarzen Umhangs.
„Seit Tausenden von Jahren bin ich dazu verdammt, immer das Gleiche zu tun – findest du nicht, dass ich es verdiene, ein wenig Abwechslung in meine Arbeit zu bringen?“. Für eine Sekunde sehe ich eine skeletierte Hand unwirsch durch die Luft kreisen. „Mit Verlaub, du bist ein Arschloch“, entgegne ich dem zynischen Mann am Bettende, der einst ein gerechter Tod sein wollte.
Ich höre ein wütendes Keuchen und danach ein zischendes Geräusch die Luft durchschneiden. Direkt vor meinen Augen stoppt die blitzende, rasiermesserscharfe Klinge der Sense des Mannes, den man besser nicht wütend macht. „Nicht heute, nicht morgen, nicht dieses Jahr. Nicht er, nicht ich, niemand in unserer Familie, und das ist mein letztes Wort!“, sage ich bestimmt und etwas zu laut.
„Du bist mutig…“, sagt der Tod, der nun ein gelangweilter, zynischer Mann war. „…und die Mutigen sterben meist am ehesten, weil sie sich überschätzen.“. Im Vorbeigehen streicht sein knochiger Finger über meinen eisigen Nacken. Mit einem Ruck zieht er die Sense zurück. „Wir sehen uns“, zischt er noch, dann ist er plötzlich verschwunden.
„Ja, wir sehen uns…“, flüstere ich ihm hinterher, „aber heute nicht mehr“. Die Blutpumpe zieht langsam ihre Kreise. Puls und Blutdruck zeigen normale Werte. Er schläft.
Neon!