Archiv für den Monat: September 2008

Multitasking Wochenaufgabe

The Multitasking Challenge

Und hier die neue, ab Montag geltende Wochenaufgabe für alle Freunde des anspruchsvollen Multitaskings: Putzen Sie Ihre Zähne mit der linken Hand in kräftigen, horizontal verlaufenden Bewegungen und bewegen Sie mit rechts ein Q-Tipp in Ihrem (Anfängerzugabe) rechten Ohr dergestalt, dass Ihr Gehörgang anschließend angenehm gereinigt aber Ihr Trommelfell immer noch intakt ist.
Ich hab’s leider nicht ganz geschafft. Sollten Sie mich über Skype anrufen wollen, stellen Sie bitte Ihr Mikro lauter. Danke.
Neon!

Yakult Frau im Schneidersitz

Yakult Frau im Schneidersitz

Es gibt Dinge, die verwirren mich. Sie rufen bohrende Fragezeichen in mir hervor, stürzen mich in beunruhigende Gedanken, verlangen mir Versuche ab, den- oder diejenige zu verstehen, der/die eine äußerst seltsame Verknüpfung primär unbedeutender Wörter gegoogelt und sich dabei in Teilen meines Blogs verlaufen hat.
Kein Zweifel: das personifizierte Böse gibt es. Dies kann jeder bestätigen, der Frau Araxe von der intendierten Köpfung eines bitterlich erkrankten Arbeitskollegen schreiben sah.
Bestimmt existiert auch Lymphknotenkrebs bei Hunden, wiewohl ich dazu wenig Hilfestellung geben kann, obgleich ich es wirklich gerne wollte. Aber die Yakult Frau im Schneidersitz war mir bis jetzt völlig fremd. Zu Yakult weiß ich nur, dass lebende Shirota-Gesundheitsbakterien schon nach einigen Stunden (den Magen überlebend) aktiv den Darm erreichen und man dann, im Schneidersitz wellnässend wellnessend, die Hände auf den Knien ruhend, Daumen und Zeigefinger einen Kreis bildend, mit geschlossenen Augen einige Minuten tief ein- und ausatmen soll. Dazu sagt man dann wiederholend „Guten Morgen, Gesundheit, guten Morgen, Yakult!“. Dadurch fühlt man innerhalb von Sekunden seine komplette innere Kraft, gewinnt ein Gefühl prokotologischer Leichtigkeit, fördert das Wohlbefinden seiner ganz speziellen Darmflora und wird im weiteren Verlauf etwa 127 Jahre alt.
Nur die Frau im Schneidersitz kenne ich nicht. Womöglich ist die arme Frau von ihrer energetischen Darmflora überwältigt worden und musste aus Gründen eines überentspannten Schließmuskels die Werbespots einstellen. Vielleicht hat auch Dr. Minoru Shirota, der Wissenschaftler und Gründer der Unternehmens Yakult ein sehr schlechtes Ergebnis beim Ausprobieren der dem Yakult Aktionspack gratis beiliegenden Gehirntraining CD erreicht und sich furchtbar enttäuscht zur Ruhe gesetzt.
Es stört mich, dass ich nur spekulieren kann. Gerne würde ich die Yakult Frau im Schneidersitz mit angereicherter Darmflora persönlich kennenlernen. Ich vermute, es bleibt ein Traum. Nie wird sie mir persönlich sagen, dass es sich lohnt, den Darm täglich mit Yakult-Fläschchen zu pflegen. Weil mich das etwas traurig macht, habe ich heute den „Innere-Kraft-Newsletter“ auf der yakult.de Seite bestellt. Jetzt weiß ich, was Laktose-Intoleranz ist und dass man seine Verdauung sorgfältig beobachten soll.
Ich fühle mich jetzt besser und habe das Gefühl, dass ich mit diesem Wissen bestimmt etwa 127 Jahre alt werde. Mit oder ohne Yakult.
Neon!

The Falling Man

The Falling Man

Der 11.September ist stets ein besonderer Tag für mich. Viele, die ich kannte, und deren Gesicht ich immer noch zurückrufen kann, sind tot: Der lächelnde, schlurfende, ergraute, schwarze Fahrstuhlwächter, die jungen Barkeeper vom Windows on the World, die immer gut gelaunte Frau, bei der ich morgens meist einen Cranberry-Muffin und Orange Juice kaufte.
Von 12 Monaten in New York arbeitete ich 6 Monate im Nordturm des World Trade Centers. Nur wenige Monate, bevor die Türme fielen, kam ich nach Deutschland zurück. Geschenkte Lebenszeit für ein pünktliches Projektende. An jedem 11.September schwirren mir besonders die Bilder der „Jumper“ durch mein Hirn, Menschen, die so verzweifelt und ausweglos waren, dass sie eine letzte mutige Entscheidung in ihrem todgeweihten Leben trafen. Über 200 sprangen aus den obersten Etagen der Türme. Wäre ich auch gesprungen? Ich weiß es nicht – und werde es hoffentlich nie herausfinden müssen.
***
Anzahl der insgesamt getöteten oder vermissten Menschen: 2803
davon Menschen aus dem Nordturm: 1402
aus dem Südturm: 614
Geschätzte Anzahl der Menschen, die vom Nordturm in den Tod sprangen: 200
Geschätzte Anzahl der Menschen, die vom Südturm in den Tod sprangen: 12
Geschätzte Anzahl der Menschen, die in Aufzügen abstürzten oder verbrannten: 200
Anzahl der getöteten Feuerwehrleute, die zur Rettung anderer Menschen in beide Türme aufgestiegen waren: 343
Anzahl der Überlebenden der höchsten Etagen des Südturms: 16
Anzahl der Überlebenden der höchsten Etagen des Nordturms: 0
Geschätzte Anzahl von Litern Kerosin, die beim Aufschlag der Flugzeuge explodierten: 90.000
Geschätzte Anzahl von Grad Hitze der Explosion: 2.000
Anzahl der gefundenen Körperteile: 19.000
Anzahl der gefundenen, vollständigen Körper: 291
Vergangene Zeit vom Einschlag des Flugzeugs bis zum Einsturz des Nordturms: 102 min
Vergangene Zeit vom Einschlag des Flugzeugs bis zum Einsturz des Südturms: 56 min
Anzahl meiner Kollegen, die in beiden Türmen ums Leben kamen: 12
I will never forget.
Neon!

Unwissenheit ist eine Gnade

2.Tag
Du sitzt, noch ganz schwach, seitlich auf deinem Krankenhausbett im Dreierzimmer, als ich durch die Tür in das diffus beleuchtete Zimmer trete. Mehr als 4 Stunden hat diese zweite Krebs-OP gedauert. Still sitzen wir uns gegenüber und ich höre mich sagen: „Hey, dein schwarzer Slip wirkt ganz schön sexy zu den weißen Venenstrümpfen – die solltest du mal auf einer deiner Gartenpartys tragen“. Müde huscht ein abwesendes Lächeln über dein Gesicht. Wie gerne würde ich dir die Schmerzen im Bauch abnehmen.
7.Tag
Das Fieber kommt und geht. Dein Bauch ist angeschwollen. Die Ärzte wissen nicht, was es ist. Du übergibst dich quer durchs Zimmer und schaffst es schwer atmend zum Waschbecken, wo es nicht aufhören will. Die Schwester schreit: „So geht das aber nicht, das verstopft ja alles“. Ich überlege einen Moment zu lange, ob ich sie gleich erwürge oder ihr erst einen vollen Infusionsbeutel in ihren Hals stopfe – da ist sie auch schon aus dem Zimmer geflüchtet.
9.Tag
Man hat dich verlegt in einen anderen Raum, in dem du nun alleine liegst. Gerade will ich die Klinke niederdrücken, als mich eine neue Schwester lautstark zusammenfaltet, ob ich das Schild nicht lesen könne. Der MRSA Keim in deinem Blut erfordert es ab jetzt, das ich Einmalhandschuhe, Schutzkittel und Mundschutz trage, wenn ich dich sehen will. „Sowas passiert, wenn man im Krankenhaus ist“, sagt der müde aussehende Stationsarzt.
12.Tag
Sie haben die Krankenakte nicht richtig gelesen und dir trotz Allergie eine Penicillin-Lösung verabreicht. Innerhalb von 10 Sekunden reagiert dein mit Infusionsleitungen verdrahteter Körper schockartig, du stehst auf und zitterst am ganzen Körper, bis dir die Beine wegbrechen.
3.Woche
Dein Bauch schwillt nicht ab. Dafür werden deine Beine und Füße dicker. Immer mehr Wasser sammelt sich in deinem Körper. Ich habe heute gelernt, was Albumin ist, warum es hilfreich ist in Bezug auf kolloidosmotischen Druck, und was es bedeutet, wenn die Leber beschlossen hat, sich selbst destruktiv umzubauen während die Niere schon einen Stent hat.
4.Woche
Die Wirksamkeit des Penicillin-Ersatzes ist bescheiden. Sie pumpen dich voll mit wasserausscheidenden Tabletten, die Leber und Niere noch weiter belasten. Je tiefer ich in die Welt der Medizin eintauche, um ein wenig zu verstehen, was passiert, desto mehr wundere ich mich, dass sogar mein Körper bislang so problemlos funktioniert hat. Es gibt so unendlich viele Dinge, die plötzlich schief gehen können, dass es einen graust. Unwissenheit kann eine verdammte Gnade sein. Jeder einzelne Tag des fehlerfreien Funktionierens dieses hochkomplexen Mechanismus, den wir Körper nennen, ist in Wahrheit ein unfassbares, nicht nachvollziehbares Wunder.
5.Woche
Du solltest schon längst mit der palliativen Chemotherapie begonnen haben, aber die Ascites und die schlechten Blut-, Leber- und Nierenwerte lassen das nicht zu. Die Leukozytenwerte und damit dein Immunsystem sind auf all-time-low – jede simple und für Normalmenschen ungefährliche Infektion ist ein immenses Risiko. Ich hasse das schrille Piepen des Heparin-Perfusors, wenn die automatische Spritze der Umwelt ihren Leerstand mitteilt.
6.Woche
Das Wasser in deinem Körper ist weniger geworden und du hast begonnen, jetzt täglich 10 Tabletten Xeloda zu nehmen. Du hast anfangs fürchterlichen Durchfall, aber entgegen der Vorwarnung löst sich die Haut deiner Handinnenflächen nicht ab – das ist gut. Es gibt Situationen im Leben, da feiert man Erfolge etwas kleiner.
7.Woche
Du hast dem Arzt gesagt, dass du nach Hause möchtest – und sie lassen dich endlich gehen. Zuhause gibst du mir deinen Entlassungbericht. Dort steht ganz nebenbei, dass die „Resektionsränder der Arteria iliaca an der Aortenbifurkation leider nicht ganz tumorfrei“ seien. Du sagst: „Kannst du mal im Internet nachsehen, was das heißt?“. „Ja, das mache ich“, sage ich und wische mir alleine im Auto die Tränen von der Wange. Zu tief habe ich schon gegraben, als das ich nicht schon weiß, was das bedeutet. Unwissenheit kann eine große Gnade sein. Und für einen kurzen Moment wünsche ich mir, dass mich jemand von der Verantwortung dieses Wissens entbinden möge.
Neon!