Ars sterilis

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Ausgefallene, mysteriös anmutende Objekte und Kaufofferten erwarten einen dieser Tage in unschuldig daherkommenden Leuchtenausstellungen. Um dem wachsenden Wunsch des Kunden nach Individualisierung „seines“ MassenProduktes Rechnung zu tragen, fertigt die Industrie zunehmend zielgruppenangepasste Produktversionen von Standardwaren, deren Herstellungspreis wohl nur geringfügig über dem des Massenprodukts liegt, aber dem Käufer durch clevere Design- und Individualisierungsmerkmale die Illusion eines hochpreisigen, einzigartigen Unikats vermittelt.

Das oben gezeigte Gattungsexemplar, das mir mit seinen spitzen Auslegern kürzlich beinahe die Augen ausstach, wendet sich offensichtlich klar an die Gruppe der Künstler/Kunstliebhaber sowie Menschen, die auf Literatur und Poesie in Form von bedrucktem Japanpapier auch an ihrer sich schnell erhitzenden Esstischleuchte nicht verzichten wollen.

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Kunst und Unikat — das darf schon etwas kosten. Immerhin wurden hier teuerste Materialien verbaut:

  • ein gelochtes Stahlblech in vertrauter Fliegenfallenoptik mit Glas und Leuchtmitteln,
  • 31 bedruckte und 49 unbedruckte Blätter DIN A5 (Nachbestellung ist möglich),
  • ebensoviele unbehandelte, grundehrliche Stahldrähte in doppelter Wunderkerzenlänge,
  • eine analoge Anzahl schwarzer Gebrauchspapierclips zur individuellen Befestigung des Japanpapiers

Nun, spätestens seit Herrn Shhhhhs erschütternder Küchenerzählung wissen wir, dass Künstler in der Regel dekadente Nichtsnutze sind, die gerne 15.000 Schleifen für eine Küche ausgeben, die sie niemals wirklich verwenden werden. Beim Preis für die waghalsige Zettelleuchte rechnete ich daher mit dem Allerschlimmsten. Allerdings nicht mit € 740.

Der Leuchtenberater bemüht sich darzustellen, dass die Lampe immerhin voll dimmbar sei und edles satiniertes, ja sogar hitzebeständiges Glas in der Fliegenfallenmitte besäße.

Und obwohl ich die Designidee durchaus nicht übel finde, erscheint mir doch die kristallklare Wertlücke zwischen geschätzten (großzügig kalkulierten) Herstellkosten von € 25 und den amtlichen € 740 etwas zu grob.

Dafür dürfen Sie sie jedoch selbst ganz persönlich zusammenbauen und aufhängen„, sagt die Verkäuferleuchte, „das gehört schließlich zum individuellen Kauferlebnis.“.

Ich suche eigentlich etwas, woran ich meine gebrannten CDs hängen kann!„, antworte ich. Das Verkaufsgespräch endet abrupt. Da muss ich wohl weitersuchen.

10 Gedanken zu „Ars sterilis

  1. pathologe

    Für 740 € erwartete ich zumindest Nacktbilder von Frau Graalmann aus dem Playboy. Mittels solcher „Individualisierung“ könnte man die Leuchteneinheit auf dem hiesigen Markt locker für 7400 € verticken. Schließlich wäre sie dann nicht schwarz verschleiert, also kein Schwarzlicht, quasi.

    Wobei es ja momentan bei Frau Schwarzer auch nicht so licht aussieht, was ihr schweizer Bankkonto betrifft.

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    1. NeonWilderness

      Über einen Mangel an schwarzer Verschleierung können Sie sich ja momentan ohnehin schlecht beschweren! Wobei Verschleierung prinzipiell nicht bei jeder Trägerin im Vorhinein abzulehnen ist. Was uns in direkter Linie zu Frau Schwarzer bringt: das ist per se immer schmerzhaft, wenn sich plötzlich eine unvermutete Morallücke zwischen öffentlichem und privatem Handeln auftut.

      Wahrscheinlich ist das so ähnlich wie mit Materie und Anti-Materie: Für jede Moral gibt es auch eine Anti-Moral, die sich in einem selbst zu Null saldieren muss. Jedes Heilige braucht auch etwas Verruchtes, sonst gerät man ungewollt an die Enden der Gauß’schen Normalverteilung und heißt Mutter Theresa oder Pol Pot.

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  2. Shhhhh

    Besteht die Dimmfunktion aus zusätzlich anzubringenden Stahldrähte nebst Zettel und/oder bekommt bei plötzlich stark steigendem Lichtbedürfnis ein Feuerzeug dazu? Als Verkäufer wäre es ja meine Pflicht auf Zusatzverkäufe hinzuweisen, die das Produkt erst richtig funktionieren lassen, z.B. das Leuchtmittel, das bestimmt nicht Bestandteil des Lampenpreises ist.

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    1. NeonWilderness

      Als Hobbykriminologe und Gelegenheitsanalytiker gehe ich bei dem Prospektzusatz, dass 49 unbedruckte Blätter beigelegt sowie weitere Nachbestellungen möglich seien, fest davon aus, dass die an der Leuchte hängenden Japanpapiere durch den heiß werdenden Lampenkörper elegant nachbräunen, bis sie irgendwann als Asche abfallen.

      Denkbar ist auch eine spontane Selbstentzündung und das vollständige Abkokeln der Steckzitate, wodurch ein regelmäßiger poetischer Innovationsschub gefördert wird.

      Definitiv sollten Fondue-Liebhaber eher Abstand von der Lampe nehmen, da die Fettflecken das Designbild doch sehr stören können.

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  3. pathologe

    Je länger ich die Bilder dieser exklusiven Leuchte betrachte, desto fester reift in mir die Idee, dass der Designer früher wohl in einem amerikanischen Diner gearbeitet haben muss. Werden da die Bestellungen nicht auch an so ein Rondell gespießt, das der Koch dann abgrast abarbeitet?

    Das wiederum bringt mich auf die Idee, eine „Johann-Lafer-Edition“ jener Beleuchtung herauszubringen, für circa 2500 € (liegt im Bereich des Lufthansa-Servierwagens, Edition Lafer), die dann mit original amerikanischen Burgerbestellzetteln gespickt ist.

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    1. NeonWilderness

      Sie haben das notwendige Unternehmer-Gen, Herr Pathologe! Die Johann-Lafer-Edition wird Sie reich machen.

      Ich hingegen plane, die Leuchte zu personalisieren und im Freundeskreis zu verschenken: z.B. bekommt Herr Mahakala zu seinem nächsten Geburtstag ein Exemplar, an dem er alle Scheine aufhängen kann, die er je in seinem Studium absolviert hat. Ich glaube, 3 Steckdrähte werden reichen. Hoffentlich sieht’s nicht zu nackt aus.

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    2. pathologe

      Wenn Sie noch Stäbchen für die Klageschriften seiner Vermieter anbringen, könnte es allerdings sein, dass man an der Decke einen T-Träger einziehen muss, um die Lampe aufzuhängen.

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