Die bigotte Auferstehung des Stammtischs

Gerade liegt das eine Opfer erfolgreich filetiert auf dem Boden, schon sucht und findet die bundesdeutsche Empörungsmaschine ihr nächstes Aufregungsziel. Schließlich macht das Nachtreten bei einem an sich selbst Gescheiterten lang nicht so viel Spaß wie der lustvolle Versuch, ein neues potenzielles Opfer am Nasenring durch die öffentliche Fight-Club-Arena zu ziehen. Wie sie mich dauert, diese entfesselte Versammlung limitiert informierter Berufs-WutbürgerInnen und Facebookgruppen-GründerInnen, die darin verliebt sind, aus Nichts einen Popanz zu bauen, um damit zuforderst die Wichtigkeit ihrer eigenen bescheidenen Existenz zu dokumentieren.
Schnell ein paar Interviewzitate verkürzt und aus dem Kontext gerissen, schon steht der Sarazzin-Unterstützer Gauck im ersten spröden Entwurf. Ach ja, und hat er sich nicht mal neutral bis positiv zu Hartz IV geäußert? Schlimm! Und dann maßt er sich auch noch an, Occupy am Anfang einer sehr ausführlichen Antwort als „albern“ zu bezeichnen. Ja geht’s denn noch? Da wird’s aber höchste Zeit für eine Maschinengewehrsalve herabsetzender Tweets mit trendigem #notmypresident Hash-Tag, bevor’s eiligst an das „Not my president“-Banner für den Blog geht. Hauptsache, man trägt seine vorschnellen Urteile gut sichtbar wie eine Lanze vor sich her und schwimmt wohlig auf der Hysteriewelle gesamtdeutscher Protestkultur.
Denn was kümmert einen auch das eigene Geschwätz von vor eineinhalb Jahren, das (wie immer meinungswellenkonform) dabei half, Gauck seinerzeit zu Social Medias Liebling zu machen. Statt „Hosianna“ ist nun das Stück „Kreuzigt ihn“ en vogue und der Zeitgeist fordert eiligen Protest – danach kann man sich doch immer noch informieren und mal genauer nachlesen.
Und bitte: Wie wenig politisches Gesamtverständnis und auch Respekt vor der Person Georg Schramm als hervorragenden Satiriker muss man haben, um jenen allen Ernstes in eine repräsentative Präsidentenrolle pressen zu wollen, die noch machtloser und limitierter ist als ein politischer Kabarettist auf freien Bühnen? Schramm als Grüßaugust beim Staatsbesuch der Queen? Das ist naiver Stammtischsadismus. Unüberlegte, uninformierte Protesthysterie ohne Gespür für das Richtige und Machbare.
Die zeitgeistige Hingabe zum kopflosen, aber erbitterten Protest muss einem Sorgen machen. Denn der Wutbürger schläft nie. Kaum hat er die Kernenergie besiegt, geht’s mit Verve gegen den Bau neuer Stromtrassen für den Überlandtransfer alternativ gewonnener Energien. Schon 30 Bürgerinitiativen protestieren alleine in Brandenburg. Das sieht gar nicht gut aus für den Ausbau regenerativer Energien bis 2020.
Wie kann man in unserem Land noch gesellschaftlich wichtige Transformationen in Gegenwart einer „Ich bin erst mal gegen alles“-Verhaltenskultur erfolgreich abschließen? Wer kandidiert noch für öffentliche, verantwortliche Positionen, wenn er dafür minütlich gnadenlos unter dem Brennglas einer skandalgierigen Meute seziert wird? Und welche Führungspersönlichkeiten und Politiker bekommen wir mittelfristig durch diese Negativselektion: abgeschliffene, glattgesichtige, umfragehörige Heiligenscheinträger, die zum Lachen in den Keller gehen und dem Facebook-Volk nach dem Mund reden. Verheiratet natürlich. Und untättowiert. Not my Germany.
Neon!

50 Gedanken zu „Die bigotte Auferstehung des Stammtischs

    1. NeonWilderness

      Na gut, also Obacht jetzt, Herr Mahakala, das wird nun etwas technisch. Das png-Bild der Punkte liegt in meinem öffentlichen Dropbox-Verzeichnis (demnächst mehr zu Dropbox und wie man das hier bei Twoday nutzen kann). Sie müssen an zwei Stellen des Twoday-Codes jeweils eine kleine Ergänzung vornehmen:

      In Admin → Layout → Vorlagen bearbeiten (HTML) → Stylesheet (site.style) den folgenden CSS-Code ganz ans Ende kopieren:

      div.mahakalamasern {
      width: 428px;
      height: 66px;
      background: url(http://dl.dropbox.com/u/16775880/divider.png) no-repeat;
      }

      und in Admin → Layout → Vorlagen bearbeiten (HTML) → Startseite: Dayfooter (story.dayfooter) diesen HTML-Code einfügen:

      <div class=“mahakalamasern“></div>

      und jeweils ‚Speichern‘ nicht vergessen. Klar soweit?

      Antworten
    2. Mahakala

      Keine Ergänzungen, kleine Ergänzungen …
      Nach einer durchgemachten Nacht merkte ich dann endlich, dass ich die runden Klammern weglassen musste, Sie Schurke!!!
      Aber jetzt hat mein Blog ganz doll Masern, muchas gracias! :)

      Antworten
    3. NeonWilderness

      Die runden Klammern sind schon absolut sinnvoll, da, wo sie sind. Sie haben sicher vergessen, nach den Änderungen einen Browser-Refresh (F5 bzw. Strg-F5)* zu machen. Dann zieht Ihr Browser weiterhin den alten Stand aus dem Cache. Irgendwann in der Nacht war dann die Cache-Gültigkeit „von selbst“ abgelaufen – das hätten Sie aber auch sofort haben können. *g

      *) Oder eben einfach mal kurz mit CCleaner die Cache-Dateien löschen.

      Antworten
    4. NeonWilderness

      @Herr Mahakala – jetzt haben’ses tatsächlich geschafft, Freni zur Sigrid Löffler der Twoday-Literatenszene zu machen.

      „Und so sehen wir betroffen / Den Vorhang zu und alle Fragen offen.“

      Antworten
    5. NeonWilderness

      Das sind aber ganz schön viele Tiefschläge für Frau freni diese Woche. Die Arme ist ja schon beim Herbst rausgeflogen. Wie schrieb Diadorim: „Küss die Hand und fahr zur Hölle intrigantes Heimlichfleiß!“. Ouch, das tut weh. Da lassen wir sie hier lieber weiter über Roche elaborieren. *g

      Antworten
    6. Mahakala

      Von mir aus gerne. „Sind Sie übergeschnappt Herr ANH, wie kommen Sie darauf Ihre Werke mit Goethe, Schiller, Wieland usw. zu vergleichen?“ Genau das Gleiche dachte ich nämlich auch!

      Antworten
    7. NeonWilderness

      Naja, immerhin kann der Mann nach eigenem Bekunden von seiner künstlerischen Arbeit leben, was auf dem Feld wohl eher selten ist. Er hat also einen zahlenden Markt entwickelt und darauf darf man sich schon mal was einbilden.

      Und die Eigenschaft, Thomas Mann für den Allergrößten zu halten, berechtigt einen ja noch nicht, andere Kunst in dieser groben Form anzugreifen. Da war der Ton doch etwas zu schrill – fand ich – und die Quittung folgte ja auch auf dem Fuße.

      Antworten
    8. Freni (Gast)

      ;) aber neugierig seid ihr Zwei gar nicht. „Herr“ Neon ist fast genauso eifersüchtig wie „Frau“ Diadorim. Herr Neon sympathisiert gerne mit eifersüchtigen Weibsbildern *g

      Antworten
    9. NeonWilderness

      Wieso neugierig? Das war eher eine zufällige Fremdschämerfahrung, weil ich dort alle paar Tage mal reinlese. Als Quartalskunstinteressierter maße ich mir aber auch nicht an, meine eher bescheiden fundierten Kenntnisse auf diesem Gebiet in spitze Worte selbstheroischer Kritik zu gießen. Man muss auch mal anerkennen, wenn jemand in einer anderen Liga spielt, Freni. Get over it.

      Antworten
  1. pathologe

    Ich hätte ja lieber Georg Schramm in dieser Position gesehen. Oder Volker Pispers. Obgleich sie nicht in die Politik eingreifen dürfen, die Kommentare und Anmerkungen hätten mal wieder was gehabt. Eine Art Lübcke, allerdings mit feinstem Hintersinn. Nachdem Raab beim Eurodingensbumscontest ja schon mal fast gewonnen hätte, wäre damit das Ansehen der Deutschen auch nicht weiter geschädigt worden.

    Übrigens hat Herr Mahakala da unten rechts seinen Pumps vergessen.

    Antworten
    1. Mahakala

      Ich finde ja, T. Gottschalk wäre ein guter Kandidat gewesen, der kennt viele Hollywoodgrößen und hätte er hätte dem Amt sicher zu etwas Glamour verholfen.
      *pömpsmitnehm

      Antworten
    2. NeonWilderness

      @Herr Pathologe – wenn man das rein egoistisch vom Unterhaltungswert beurteilt, steht Schramm sicher ganz oben. Aber ich finde, es gibt Bereiche, wo eine spaßkulturgetriebene Besetzung nichts zu suchen hat. Bei 95% Formalienanteil des Präsidentenjobs wäre das auch purer Sadismus gegen Herrn Schramm. Das hat der Mann einfach nicht verdient, beim Empfang ausländischer Regierungsvertreter 200 Hände zu schütteln und dabei nett zu lächeln. Das Präsidentenamt hält groteske Zwänge bereit, die für einen Freigeist nur schwer erträglich sind. Es spricht für Schramms klaren Verstand, dass er verneint und anmerkt, er könne seinen jetzigen Job besser.
      In bin froh, dass Herr Mahakala nur seinen Pömps dagelassen hat. Als Berufsmietnomade und Freizeitmessi vermüllt er seine Schlafstätten ja auch gerne.

      @Herr Mahakala – stimmt, Gottschalk passt: der hat eh bald keinen Job mehr, präsentiert sich gerne (der alte Pfauenzausel) und könnte dann noch hochoffiziell Carla Brunis Knie betatschen.

      Antworten
    3. NeonWilderness

      Nach der letzten unglückseligen Vorstellung in Solingen haben sich diese Lippen fur immer geschlossen, Herr Pathologe!

      Herrje, Frau Araxe muss es wirklich beschissen gehen, wenn sie beim Wort „zersägen“ nicht einmal zuckt.

      Antworten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert