Archiv für den Monat: Juli 2014

LachsLinsenPestoPorno

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Krankenhäuser findet man aus gutem Grund in keinem Schlemmer-Atlas. Das dort gereichte Essen steht nämlich nicht im Verdacht, demnächst mit Michelin oder Gault-Millau Punkten überschüttet zu werden. Andererseits kann man seinem Körper auch weitaus Schlimmeres einverleiben, so dass man Krankenhausessen gerechterweise unter  #könnteschlimmersein oder #leckersiehtandersaus verschlagworten kann.

Immerhin reichten die zwei Tage des kürzlichen Zwangsaufenthaltes, um ein unstillbares Verlangen nach einem lukullischen Geschmacksporno auszulösen, verbunden mit der nachdrücklichen Lust auf eine genussreiche Zusammenstellung, bei der man auch weiß, was drin ist.

Und so kam es, dass gleich nach der vorzeitigen Selbstentlassung aus der krankenhäuslichen Kantinenwelt der Kochlöffel geschwungen wurde; und zwar für ein Gericht, das ich schon lange auf der Liste hatte: Lachs mit Petersilien-/Haselnusspesto auf Linsen. Das grundlegende Rezept habe ich noch leicht abgeändert. Es ist wirklich nicht schwer und auch in relativ kurzer Zeit zu produzieren — vor allem wird die Mühe durch eine außergewöhnliche Geschmacksvielfalt von Einzelzutaten belohnt, die man (zumindest ich) nicht ohne Weiteres so kombiniert hätte.

Wer auch gern mal Geschmackskirmes im Mund schmecken will, der findet hier mein PDF mit der vollständigen Anleitung. Viel Spaß beim Nachkochen und Genießen!

Darth Vader, Propofol und der Hard Reset

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Schon mit 18 war es so, das mein Herz von Fall zu Fall ins Stolpern kam. Manchmal, wenn ich mich schnell aufrichtete, aber oft auch einfach ganz ohne äußeren Anlass. „Du bist einfach zu schnell gewachsen, Junge!„, pflegte meine Mutter dann als Erklärung anzuführen, wobei sie streng guckte, als wenn ich etwas dafür konnte, zu schnell gewachsen zu sein. Immerhin klang die Begründung plausibel für einen Achtzehnjährigen, der in kurzer Zeit auf 196cm geschossen war – und so machte ich die nächsten Jahrzehnte wenig Aufhebens um die temporären Rhythmusstörungen. Meine Methode, bei Herzrasen so lange die Luft anzuhalten, bis es sich wieder von selbst beruhigte, war nämlich regelmäßig äußerst erfolgreich! Bis vorgestern.

Man weiß es sofort, wenn etwas anders ist. Trotzdem versuchte ich die bewährte Luftanhaltmethode, bis ich verzweifelt nach Luft schnappen musste, um nicht blau anzulaufen. Keine Reaktion. Mein Herz zeigte mir diesmal die unterkühlte Schulter. Ich legte mich flach hin, dann auf den Rücken, drehte mich auf beide Seiten, atmete nicht mehr. Nichts funktionierte. So eine ausgewachsene Tachykardie kann einem schon Sorgen machen. Ich las von Gerinnseln, Gehirnschlägen, Kreislaufstillständen und anderen unschönen Entwicklungen, die einem den Tag verderben können. Diesmal war es wohl wirklich Zeit für einen Krankenhausbesuch.

Seit gefühlt 50.000 Jahren zahle ich in eine Zusatzversicherung ein, die mich im Krankenhaus (und nur da) vom gemeinen Kassenpatienten auf die Privatstation katapultiert. Heute war also Payback-Time und ich freute mich auf zarte, geschmeidige Stationsschwestern mit sonoren Stimmen, wolkig aufgeschlagenen Betten in einer luxuriösen Krankenhaussuite mit maximal einem Mitbewohner. Als wenn! Leider wäre an diesem Abend nichts mehr auf der Privatstation frei, eröffnet mir der Nachtschichtarzt in der Zentralambulanz, nachdem er meine galoppierende Herzfrequenz nach einigen gescheiterten Betablocker-Infusionen erfolgreich mit Digitalis (Tollkirsche) herunterschrauben kann. „Sie brauchen aber nicht auf dem Gang liegen; wir haben da noch einen Platz auf der Normalen„. Ich bedanke mich artig, während mein Herzschlag endlich unter 100 fällt.

Es ist schon nach 23 Uhr als ich auf die Station komme. Im Zimmer ist schon abgedunkelt und das Licht aus. Ich werde in die Mitte zwischen zwei Darth Vader geschoben, die beide nur kurz aufwachen und dann weiter um die Wette schnarchen, als wenn sie um den Titel in einer Darth-Vader-Sound-Alike Competition kämpfen. Mein Herz rollt und schnauft noch viel zu schnell. Unmöglich zu schlafen. Um 4:00 kommt der Stationsarzt, misst Puls und gibt mir eine Thrombosespritze. Ich würde gerne wenigstens noch 30 Minuten schlafen, aber die Darth Vader Brüder kämpfen immer noch keuchend um den Todesstern. „Aufwachen, Betten machen und alles einmal durch die Waschstraße!„, brüllt eine Ledernacken-Schwester gegen 6:15 Uhr. Ich träume vom verpassten Wecken auf der Privatstation, wo man bestimmt in sanfter Hingabe von einer blendend gelaunten Lena Gercke wachgeküsst wird.

Nach dem für mich ausfallenden Frühstück („Sie müssen nüchtern bleiben!„) folgt eine unangenehme, aber wichtige Vorarbeit. Die TEE-Untersuchung soll sicherstellen, dass man mir später kein Blutgerinnsel auseinandersprengt. Schön ist was Anderes, es sei denn, man mag mittelfingerdicke 50cm in der Speiseröhre. „Alles klar für die Kardioversion! Wir können das gleich auf der Intensivstation durchziehen, wenn sie wollen!?„, sagt der Oberarzt, nachdem er 15 Minuten am Bildschirm alles Mögliche vermessen und analysiert hat. „Sie bekommen Propofol, träumen was Schönes und wir brutzeln sie einmal kurz durch! Über die Risiken hat man sie aufgeklärt?„. Ich nicke stumm. Nicht noch eine Nacht mit diesem verrückten Herzschlag!

Ich weiß jetzt, warum Michael Jackson so süchtig nach Propofol war. Das milchige Zeug macht wirklich wunderschöne Träume und man wird ohne anschließende Verwirrtheitszustände aus- und angeknipst wie ein Lichtschalter. Ich schaue auf die Uhr. Es ist 5 vor 12. Als ich aufwache, ist es 5 nach. „Wann fangen Sie an?„, frage ich. „Schon alles passiert!„, sagt die Intensivschwester, „merken Sie’s nicht?„. Erst jetzt horche ich auf meinen Herzschlag. Wunderbar jungfräulich schlägt es im Sinusrhythmus. Still danke ich meinem Sinusknoten für sein kooperatives Verhalten, denn nicht immer klappt es so problemlos. Ich fühle mich unglaublich befreit und es wird grad noch besser: „Auf der Privatstation ist etwas frei geworden! Wir bringen Sie gleich dorthin!„.

In 20 Minuten werde ich zufällig Josef kennenlernen, der seinerseits zufällig herausfinden wird, dass er jahrelang mit meinem Vater eng zusammengearbeitet hat. „Die Welt ist so klein!„, wird er sagen, und eine Träne wegdrücken, als ich ihm sage, dass er vor 4 Jahren gestorben ist. Wir haben uns lange unterhalten, vor und während des nächtlichen großen Kirmes-Feuerwerks, das wir so gut von unserem Fenster beobachten konnten. Aber das ist eine andere Geschichte.

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Neon!

Unwetternachlese

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Wir sollten uns wieder auf die Räder schwingen„, sage ich, während der Wind plötzlich auffrischt und mein besorgter Blick über die sich verkeilenden dunklen Wolken hastet. „Das da oben sieht nicht gut aus„. Ich nehme einen letzten Schluck aus der mittlerweile viel zu warmen Jever Lime Flasche, während mich die anderen Gäste der Strandbar ob ihres stoischen Desinteresses an bedrohlichen Wetterentwicklungen ein wenig irritieren. Offensichtlich bin ich der einzige, den beim Blick auf einen aufgewühlten Himmel und die 30m hohen Pappeln rund ums Sonnendeck eine latente Unruhe befällt.

Cagando leches!„. Endlich kann ich den Spruch mal einsetzen, den mir eine spanische Kollegin einst auf einem Frankfurter Projekt beibrachte, wenn’s wirklich schnell gehen musste. Wir jagen auf den Rädern die 4km zurück nach Hause. Es wird stetig dunkler. Dicke einzelne Tropfen klatschen auf meinen Rücken und ins Gesicht. Die Luft riecht nach Gewitter. Menschen strömen uns entgegen auf ihrem Weg zur Stadtteilkirmes. „Das ist der letzte Ort, an dem ich sein möchte, wenn es losbricht„, überlege ich noch und gebe dem Festzelt eine (nachträglich zu großzügige) Halbwertzeit von etwa 30 Minuten. Ich schaffe es noch, die Fahrräder einzustellen. Dann ist die Zeit abgelaufen und die Welt beginnt unterzugehen.

Seltsam, was eine existenzielle Erfahrung mit Menschen macht. Am nächsten Tag stehen sie eng beisammen im völlig zerstörten Park, zwischen umgestürzten Bäumen und zerschlagenen Bänken, erzählen sich aufgeregt ihre Erlebnisse und überstandenen Ängste. Angst und erzwungene Veränderung sind außergewöhnliche Katalysatoren für ein schnell wieder erstarkendes soziales Netz (ganz ohne Smartphone). Die Straßen sind grün von Laub und riesigen abgebrochenen Ästen, Bäume liegen unverrückbar quer über der Fahrbahn oder haben einige Autos auf die halbe Höhe verdichtet. „Wie im Krieg!„, ruft eine alte Frau und fuchtelt nachdrücklich mit ihrem Gehstock. Die anderen nicken zustimmend, obwohl sie nie einen erlebt haben.

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Als ich am Friedhof vorbeikomme, bringt ein Gehilfe gerade ein Schild an der Eingangstür an. Ich muss schmunzeln. „Sie haben wirklich einen feinen Humor!„, sage ich anerkennend. „Wieso?„, raunzt der Friedhofsgartenamtmensch und schaut unverständig. „Naja. Friedhof. Lebensgefahr. Sie wissen schon!„. Aber es scheint, als sei Ironie doch keine seiner Kernkompetenzen, denn er schaut weiter ratlos. Ich verzichte auf weitere erhellende Ausführungen und mache stattdessen ein Foto. „Könnte mal zum Freitagstexter taugen, irgendwann!„. Ich glaube, der Gartenamtbeamte hält mich mittlerweile für durchgeknallt. Na sei’s drum.