Die Zauberstab-Enttäuschung

Twilight Zone

Es ist seltsam, dass viele Skorpione (vielleicht sogar alle) das Dunkle als so unerhört magisch und anziehend empfinden. Womöglich ist es Ausdruck ihrer bodenlosen Unergründlichkeit, ihrer ruhelosen Sucht nach kristallklarer Abgeschiedenheit inmitten einer tosenden gleichgeschalteten Masse, ihrer häufigen Vorliebe für Dinge jenseits des menschlichen Mainstreams, ihrer provokanten Suche nach extremen Gefühlszuständen und ihrer tiefen Verachtung für das normale Bekannte.
Auf der Jagd nach den letzten Weihnachtsgeschenken führte mich mein Weg heute durch den Düsseldorfer Hofgarten, ein wunderschönes Jahrhunderte altes Gelände im englischen Stil, das sogar wirre Bahnhofspläne, feuchte nationalsozialistische Träume von großen Aufmarschstraßen und bedrohliche Stadtplanerexzesse weitgehend unbeschadet überlebt hat.
Jedesmal läßt mich der weite Blick über die Jägerhofallee mit den im letzten Drittel beginnenden Lichtbankinstallationen innehalten. Dunkel liegt die Allee vor einem, und das Licht der Bänke in einiger Entfernung taucht alle Materie in eine unwirkliche Farbe des Zwielichts. Twilight Zone. So stand ich also für Minuten dort, unbewegt, sog die Stimmung in mich auf, genoss den kühlen Schauer auf meinem Rücken und kräftigte mich für die bevorstehenden Ellbogenrempler inmitten der verzweifelt-hastenden Geschenksucher in den großen Kaufhäusern – und fühlte mich angenehm anders.
„Herr Engemaaaaaaann, die Dame möchte den Zauberstab für € 133,95! Ich finde den nicht!“, ruft eine entnervte Verkäuferin im Untergeschoss des Carsch-Hauses quer durch die ganze Abteilung. Ich fahre erstaunt herum. Mit allem habe ich gerechnet, aber nicht damit, dass das Carsch-Haus jetzt auch Vibratoren verkauft.
„Aber gerne doch, der mit 200 Watt ist wirklich zu empfehlen!“, konstatiert Herr Engemann trocken. Wie im Hofgarten bleibe ich abrupt stehen, starre ungläubig und erwartungsvoll auf Herrn Engemann, warte darauf, wie er sich hinkniet und aus einer dunklen, geheimen, nur Insidern bekannten Schublade einen 200W Vibrator herausholt. Die Kundin strahlt bereits hoffnungsfroh. Ich glaube, sie packt im Geiste zuhause gerade den Zauberstab aus und schaltet ihr Handy stumm.
So sind Skorpione: sie sehen und erhoffen und erwarten immer das Außergewöhnliche, das Aufregende, das dunkle Paranormale. Ich muss sicher nicht groß ausführen, dass es sich leider nur um einen gewöhnlichen Stabmixer handelte. Und liebe Carsch-Haus-Käuferin: Im Internet gibt’s den für € 98,98. Musste ich googeln. Um die Zauberstab-Enttäuschung zu kompensieren.
Neon!

15 Gedanken zu „Die Zauberstab-Enttäuschung

    1. NeonWilderness

      Danke für Ihren liebreizenden Kommentar, Herr Mahakala! Wenn Sie Spaß daran finden, ab und zu mal einen engen Rock zu tragen, sich die Lippen zu schminken und außerdem einen unwiderstehlichen Augenaufschlag haben, machen Sie mir bitte weiter solche ausdrucksvollen Komplimente. Und fangen Sie an, mir anzügliche Mails zu senden! *g

      Antworten
    2. NeonWilderness

      Als Skorpion schaue ich natürlich immer nur auf den Menschen und also tief in seine einzigartige Seele. Ich glaube, Ihre ist ziemlich sympathisch und deswegen wäre es mir völlig egal ob sie Transsexueller sind, oder es nur vorgeben, oder es anstreben, oder einfach ein gewöhnlicher Mann mit einem Ei bleiben wollen. ;)

      Antworten
    1. NeonWilderness

      Frau Keks – Ihre Assoziationsfolge klingt viel versprechend! Bitte erzählen Sie uns mir mehr über Ihre intensiven, persönlichen Erfahrungen mit batteriegetriebenen Zauberstäben. Diskretion ist selbstverständlich.

      Antworten
  1. C. Araxe

    Beim Lesen der Headline dachte ich ja zunächst an Potenzprobleme, aber als dann der Herr Engemann ins Spiel kam, da dachte ich an einen „richtigen” Zauberstab. Das müssen noch die Nachwirkungen sein, als das kleine Monster nach Knochen buddelte und ich dort feststellte, dass das Eso-Angebot immer mehr zunimmt. Am schönsten waren die Steckdosenabdeckungen aus Halbedelsteinen gegen Elektrosmog.

    Antworten
    1. NeonWilderness

      Frau Araxe – bevor Herr Pathologe mit dem völlig indiskutablen Kalauer über das neumodische Wort „Steckdosenabdeckung“ als Ersatz für „Keuschheitsgürtel“ den Vogel abschießt, tue ich das lieber selber. Natürlich nicht ohne zu ergänzen, dass Halbedelsteine als betörende Verzierung an diesem Ort gerade jetzt zum Fest eine wirklich schöne Idee von Ihnen sind. ;)

      Antworten
    2. NeonWilderness

      Herr Pathologe, fassen Sie sich! Frau Araxe goutiert das gar nicht, wenn wir so bodenlos kindisch und sexistisch sind. *s

      Und für Sie frohe Weihnachten nach Doha! Habe gelesen, dass 80% der Einwohner Qatars Ausländer sind: Na da müsste sich doch ’ne nette Expatriate-Party organisieren lassen! Viel Spaß! Und dass das Heimweh im Rahmen bleibt. ;)

      Antworten
    3. pathologe

      Achtzig Prozent Auslaender. Ja. Kopfschuettler. Pakistani und Inder, lauter Hindus. Und Filipinos. Aber einen Baum habe ich ja bereits, inzwischen sogar mehr geschmueckt als auf dem Bild.

      Und das mit dem Heimweh haelt sich in Grenzen.

      Antworten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert