Pussypräsident

Eine kleine Gruppe verschwitzter Männer steht vor dem an der Hallenwand montierten Flachbildschirm und folgt aufmerksam einer NTV-Wiederholung der kümmerlichen Köhler-Abschiedsrede. „Welch eine dünnhäutige Pussy“, macht einer seinem Ärger Luft, während Köhler, soeben ein letztes Mal von einer peinlichen emotionalen Mischung aus alberner Enttäuschtheit und selbstgefälliger, wichtigtuerischer Arroganz geschüttelt, gerade damit kämpft, am Ende seiner Rede nicht in Selbstmitleidstränen auszubrechen.
Die Runde nickt zustimmend und nimmt fassungslos zur Kenntnis, dass Oberrapper Horst mangels höherer Frustrationstoleranzgrenze und sehnsüchtig vermisstem „R-e-s-p-e-k-t“ sich gerade selbst aus dem Break-Dance-Contest der täglichen Politikschau absentiert hat.
Dabei hätte Hip-Hop-Horst doch wissen müssen: Respekt kann man weder einfordern, noch bekommt man ihn so einfach geschenkt – Respekt muss man sich verdienen. „Wenn Horst Eier gehabt hätte, hätte er die Sache wenigstens noch adäquat eskaliert und Trittin mit in die Versenkung genommen“, kommentiert ein anderer den zittrigen Bühnenabgang von Pussy Galore, die eben noch Präsident war. Wieder allseits zustimmendes Nicken.
Doch Horst spricht nun nicht mehr zum Volk, das ihn doch so lange mit respektierlichen Sympathiewerten beschenkt hatte, sondern schweigt dieses ab sofort beleidigt an, wie ein Hohlkopf-Vater, der von seinem eigenen Kind enttäuscht ist und sich doch eigentlich fragen müsste, was er selbst falsch gemacht hat.
Hm, ich gebe zu: in eklatanter Abweichung zum deutschen Volk habe ich nie viel von Horst gehalten. Zu dürftig und dürr seine Reden, zu anbiedernd an das Volk seine späten Mahnungen, so betont-fingiert-unbequem anstatt konstruktiv versammelnd, nach vorne weisend, das Ziel vorgebend. Da ist es besonders tragisch, auch noch im Abgang zu dilettieren. Es sollte einem als Lebensziel unter keinen Umständen genug sein, von möglichst vielen gemocht zu werden. Der wahrscheinlich erhoffte Kläßmann-Solidarisierungseffekt wird sich für Köhler nicht einstellen, auch, weil die Glaubwürdigkeit der präsentierten Abschiedsstory für die Allermeisten veritable Lücken aufweist.
Als Ökonom und ehemaliger IWF-Chef hätte gerade er die „Big Points“ in einer Zeit der Krise und kommenden Deflation spielen können. Wie wenig hat er es verstanden, seine originären Kompetenzen in dieser so wichtigen Rolle zu nutzen. Wie wenig respektvoll hat er am Ende „sein Amt“ behandelt, für das er doch eigentlich diesen Respekt einforderte. Nun hat Horst blank gezogen und zieht sich aufs gut dotierte Altenteil zurück. Satt, fertig, voll daneben.
„Vollhorst!“, sagt einer in der Runde. Alle nicken ein letztes Mal zustimmend bevor sie sich resignierend vom Fernseher abwenden und wieder auf ihre Trainingsgeräte zusteuern, die für den Rest des Abends das zusätzliche Adrenalin aushalten werden müssen.
Neon!

4 Gedanken zu „Pussypräsident

  1. pathologe

    Was ich ja interessant finde, ist, dass dieser Rücktritt einen Monat vor Ende der offiziellen Amtszeit stattfand. Wer 10 Jahre durchhält und auf den letzten Zentimetern dann schlapp macht – seltsam. Aber wenigstens zeigt es uns allen, dass man als Politiker nur dann freiwillig zurücktritt, wenn man aus Versehen mal die Wahrheit sagt.

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    1. NeonWilderness

      Ich glaube, da verwechseln Sie Köhler mit Lübke, Herr Pathologe. Köhler wurde doch im Mai 2009 erst wiedergewählt, nachdem er im Mai 2004 zum ersten Mal antrat. Er hat also nach knapp einem Jahr seiner zweiten, normal 5-jährigen Amtszeit hingeschmissen.

      Lübke hat fast 2 Amtsperioden durchgehalten und ist einige Wochen vor Ablauf der Zweiten zurückgetreten, aus weitgehend gesundheitlichen Gründen.

      Dass Köhler den wahren Satz über die Existenz wirtschaftlicher deutscher Interessen und deren prinzipieller Legitimität beim ersten Gegenwind im nachhinein zu korrigieren suchte, war in der Tat auch keine Heldenleistung.

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    2. romeomikezulu

      Ganz genau! Gerade Köhler als vormaligem IWF-Mann hätte man doch zugehört, wenn er nicht versucht hätte, seine Äußerungen zu dem Zusammenhang zwischen deutschen Auslandseinsätzen und deutschen Wirtschaftsinteressen zu relativieren, sondern wenn er die längst überfällige Diskussion darüber durch Beharrlichkeit einmal angestoßen und forciert hätte.

      Es war seine zweite Amtszeit, er hätte nichts mehr zu verlieren (oder verlängern) gehabt, er hätte einen unbequemen Konfrontationsweg locker einschlagen und auf Kurs halten können.

      Von welchem politischen Amt, wenn nicht dem des Bundespräsidenten, dürfte man heutzutage überhaupt noch den Anstoß grundsätzlicher Wertediskussionen erwarten?

      „Dünnhäutige Pussy“, sehr schön. D’accord.

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    3. NeonWilderness

      Hm, dieser Begriff ist nicht notwendigerweise einer, mit dem ich meine enttäuschte Gefühlslage über den durchsichtig-begründeten und blamablen Abgang Köhlers zusammengefasst hätte, aber er macht immerhin plastisch klar, wie „Volkes Stimme“ (aus der Herr Köhler ja lange seine Überzeugungen und Legitimation bezog) die charakterliche Wahrnehmung dieses kampf- und kraftlosen Rückzugs einordnet. Deswegen habe ich ihn zitiert.

      Die mitschwingende Enttäuschung und Aggressivität in der Bezeichnung liegt sicher auch darin begründet, dass die allermeisten Menschen nicht über dieses wolkenweiche Sicherheitsnetz nach Versagen verfügen und eben täglich (weiter-)kämpfen müssen, ob sie nun wollen oder nicht. Sie haben nicht die Option, sich ein selbstverliebtes Beleidigtsein im Angesicht einer lebenslangen Pension leisten zu können.

      Herr Köhler hatte eine angenehm niedrige Fallhöhe. Und mir scheint, er hat sich nicht sehr weh getan – außer ein paar blauen Flecken im eigenen Selbstwertgefühl.

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