Archiv für den Monat: April 2008

Killerrabenanschlag

Inline Skates

Samstagmittag. Ich strecke vorsichtig die Nase aus dem Fenster. Die Sonne scheint zärtlich warm in mein Gesicht, sie flüstert mir zu „Komm, komm zu mir heraus, lass uns ein wenig spielen und herumtollen, komm mit mir und ich schenke dir unglaubliche Frühlingsgerüche, ja die, die du so lange vermisst hast“. So haucht sie mir zu und umweht sanft meinen Nacken.
Ich stürze zur Treppe, haste die Stufen hinunter, durchwühle den Keller nach dem, was mich noch länger und vor allem schneller macht. Und schon schieße ich durch die Felder am Rhein, alles riecht so neu. Geschäftig surrt und scharrt es auf jedem Meter. Von weitem sehe ich die flimmernden Umrisse des Fernsehturms auf der anderen Flußseite. Dann wird es auf einmal dunkel. Eine Wolke von Raben kreist lautkrächzend über meinem Kopf. Ich stoppe die Inliner.

Inline Skates

Die Raben machen Geräusche wie „Kraaah“, „Quorrr“ und „Kroaak“ und verfolgen aufmerksam jede meiner Bewegungen. Ich vermute gleich, dass Frau Araxe sie geschickt hat, um mich für all meine frechen Kommentare zu bestrafen. Ein paar von ihnen landen in 20m Entfernung, mitten auf dem Weg, vor mir und hinter mir. Die auf dem Weg machen auch „Kraaah“ und „Krok“ und sowas wie „Jetzt haben wir dich, du schräger Blogvogel“. Ich überlege, wie ich der tödlichen Gefahr am besten entkomme.
„Gib uns Schokolade oder du bist fällig“, rufen die Raben herüber, natürlich nicht ohne ein nachdrückliches „Kraaah“ oder „Quorrr“ nachzuschieben. Jetzt ist klar, dass die Killerraben von Frau Araxe kommen: Vögel lernen durch Nachahmung. Entschlossen greife ich in meiner Tasche eine Handvoll Hunde-Leckerli, gehe in die Hocke und kläre meinen Hund über die Strategie auf: „Es wird verdammt hart werden, aber wir müssen da jetzt durch. Bleib eng bei mir und schau nicht zurück. Zusammen werden wir es schaffen, vielleicht schwer verletzt, aber wir werden überleben, irgendwie“. Der Hund schaut entgeistert. Damit hatte er an einem Samstagnachmittag wohl nicht gerechnet.
Mit einem großen Schwung schleudere ich die Hunde-Leckerli ins nahe Feld, werfe meinem Hund einen „Los jetzt! Und viel Glück!“-Blick zu und starte durch. Die meisten der blut- und schokoladegierigen Raben stürzen sich ins Feld, da wo sie ihre Beute vermuten. Mit gefühlten 60km/h durchbrechen wir den Rest der Rabenblockade – Federn fliegen durch die Luft. Nach 200m halten wir an. Nichts mehr zu hören von den schwarzen Killerteufeln. Bestimmt sitzen sie im Feld und krächzen „Kraaah“ und „Quorrr“ und sowas wie „Mistbetrüger, das ist ja gar keine Schokolade“.
„Gut gemacht! Sieg auf der ganzen Linie!“, sage ich dem Hund und klopfe ihm anerkennend auf die Schulter. Er schaut immer noch entgeistert. Klar, wenn man so knapp dem sicheren Tod entronnen ist.
Neon!

Angst vor’m Girls‘ Day?

Girls' Day

Heute ist Girls‘ Day 2008. Mädchen-Zukunftstag. Viele Unternehmen und Forschungseinrichtungen bieten Mädels ab der 5. Klasse an, sich ein besseres Bild von Berufen zu machen, auch von solchen, „in denen bisher erst wenige Frauen arbeiten“.
Der letzte Halbsatz klingt für uns Jungs ein wenig bedrohlich. Wenn wir Boys so etwas lesen, wünschen wir uns sofort auch einen Boys‘ Day. Ich zumindest. Ich bin ein aufrechter Verfechter von Chancengleichheit in alle Richtungen. Bestimmt gibt es Jungs, die auch gerne mal einen Tag als Hebamme, Arzthelferin, Großküchenmamsell oder Kindergärtnerin arbeiten würden.
Wahrscheinlich wäre ich aber als Hebamme zu ungeduldig. Ich würde sicher sagen: „Frau XY, wenn Sie jetzt nicht endlich anfangen, sofort massiv mitzupressen, breche ich den Boys‘ Day und Ihre Geburt hier und jetzt für mich ab“. Das würde sicher bei der werdenden Mutter und ihren Anverwandten nicht gut ankommen. Auch wenn die Eltern mittags zur Abholung im Kindergarten einträfen und alle ihre Kinder in Handschellen auf der stillen Treppe wiederfänden, gäbe es für mich als Boys‘ Day Kindergärtnerin einiges zu erklären.
Gerade lese ich, dass ein Mann gestern Deutschland’s „Beste Sekretärin 2008“ geworden ist. Der 32-jährige Marc-Oliver S. setzte sich im Finale gegen neun (!) Sekretärinnen durch. Bestimmt schaffte er es kaltlächelnd, sich während des Maschineschreibtests bei 300 Anschlägen pro Minute noch die Lippen rot zu schminken.
Plötzlich bin ich gar nicht mehr so wild auf einen Boys‘ Day. Wir Jungs sind schon viel weiter als die Mädels. Wo diese noch versuchen, in unseren Berufen Fuß zu fassen, gewinnen wir schon Wettbewerbe in ihren. Das ist sehr cool! Obwohl ich mir wahrscheinlich sehr überlegen würde, in einer Männereckkneipe stolz zum Besten zu geben, dass ich heute „Beste Sekretärin 2008“ in Deutschland geworden sei. Mann muss ja nicht jedes weibliche Kompetenzfeld erobern.
Neon!

Notfallheimzahnarztsonde

Sonde

Manchmal bekommt man Möglichkeiten im Leben gezeigt, die man lieber nicht kennengelernt hätte. So zum Beispiel die Möglichkeit, sich am Wochenende mit einer geliehenen Sonde im Notfall den eigenen provisorisch gefüllten Zahn zu öffnen, um so den klopfenden Druck zu entlasten. Aber der Reihe nach…
Donnerstag. Das Pochen des am Dienstag frisch wurzelverfüllten Eckzahnes hat nicht abgenommen. In Anbetracht des nahenden Wochenendes besuche ich meine Zahnärztin und berichte ihr davon. „Da haben wir wohl zu früh gefüllt“, sagt sie, als wenn ich dabei auch nur irgendeine Form der Mitbestimmung gehabt hätte. Dabei sind Zahnärzte doch absolutistische Autokratien in Reinform – und wahrscheinlich ist das auch gut so. Dies wissend macht sie sich also daran, die bombenfeste Füllung wieder aufzubohren, den Wurzelkanal mit allerlei Feilgerät zu reinigen und unter Einbettung einer beruhigenden Medizin provisorisch zu verschließen.
„Was mache ich, wenn er sich am Wochenende wieder meldet?“, frage ich und sehe ihr erwartungsvoll in die Augen, damit sie mir für den Notfall ihre private Handynummer anvertraut. „Ich gebe Ihnen mal eine Sonde mit. Damit können Sie selbst den Zahn öffnen, und der Druck kann dann entweichen.“. Voller Verständnis schaut sie in meine immer noch erwartungsvollen Augen, die wohl gerade beginnen, einen Anflug von Panik widerzuspiegeln und nicht glauben wollen, dass dies alles gewesen sei. Meine Zahnärztin erbarmt sich: „Und wenn Sie es nicht selbst können, rufen Sie mich einfach auf meiner Handynummer an.“. Erleichert sinke ich im Behandlungstuhl zusammen – die Sonde aus schwerem HenrySchein stainless steel liegt kühl und schwer in meiner Hand.
Sonntag. Manchmal meldet er sich. Nur ganz kurz und kaum spürbar. Dann zeige ich ihm im Spiegel das zahnärztliche Kratzgerät und prompt ist wieder Ruhe. Ich sage „Noch ein Mucks und ich mach dir ein Loch damit!“ zu meinem Eckzahn und schon ist Schweigen. Er weiß, ich werde Ernst machen. Er spürt, dass er keine Chance hat weil ich ihn dann gnadenlos an meine Zahnärztin ausliefern werde, die ihn dann mit einer Wurzelspitzenresektion (WSR) endgültig ins Nirvana schicken wird. Es scheint zu wirken. Mein Zahn hat jetzt Respekt vor mir. Oder vor der WSR. Auf jeden Fall weiß er, wann man verloren hat.
Neon!

Blutiger Mond

Alice Cooper Luney Tune

Spät ist es. Der Winamp spielt Alice Cooper’s Luney Tune. Ein guter, ehrlicher Sound, um etwas Neues zu schreiben. I took a spit at the moon, it’s all in this luney tune… Ja, wer von den Tokio-Hotel-Quietschies weiß heute noch, dass Alice nicht immer eine lasziv dreinblickende Blonde war, die barfüßig hüpfend DSL-Verträge unter die Leute bringt. Das alles ist ja so deprimierend.
Dies ist jetzt wohl der richtige Moment, zuzugeben, dass das epochale Ton-Meisterwerk Alice Coopers die bislang heimliche, gemeinsam empfundene Leidenschaft mit Herrn Humanary ist. Nicht nur teile ich seine Meinung, dass Cooper einer der unterschätztesten Musikgenies seiner Zeit ist, auch möchte ich hier unwidersprochen sagen dürfen, dass sich unter der Bühnen-Guillotine niemand so elegant und glaubwürdig von seinem Kopf zu trennen wusste wie er. Obwohl ich bereit wäre, mein Urteil zu revidieren, wenn man Benni Herd als Highlight der nächsten DSDS-Themenshow auf selbige Weise dauerhaft aus dem menschlichen Genpool entfernen und damit seiner unerträglichen Bühnenpräsenz ein blutiges, aber durchaus faires und gerechtes Ende setzen würde.
Is this all real? Is this all necessary? Or is this a joke? Dies war ein seltsames Pärchen im Fitness-Studio. SIE, wohl leicht sportvorgebildete Assistentin mit dem Aussehen einer Thekenschlampe, ER ihr Chef oder definitiv Teamlead. SIE sucht säuselnd um Erlaubnis nach, seine Oberschenkelmuskeln zu stretchen: „Duuu, ich setz jetz‘ ein wenig Gewicht auf dein rechtes Bein. Sagsu mir bitte, wenn es für dich nicht mehr angenehm ist, jaaaa?“, wobei SIE IHN mit ihren Dschungelbuch-Mogli-Augen anhimmelt als würde SIE IHN am liebsten gleichzeitig oral entspannen. Während ich noch überlege, ob SIE das in der Stellung so rein technisch parallel hinbekäme, beginne ich, mich mit dem Gedanken anzufreunden, weil SIE dann für eine Weile wenigtens nichts mehr sagen könnte.
„Duuu, gehts noch? Isses dir angenehm so? Oh du machst das wirklich soooo guuut“, säuselt SIE ihren unter ihr liegenden Boss an, und guckt jetzt mit ihren rotierenden Augen wie Schlange Ka in der Hoffnung, morgen früh gleich die Gehaltserhöhungen der nächsten 20 Jahre zu bekommen. Leider schaut Chef gelangweilt auf seine Uhr, murmelt etwas unwillig „Ach ja?“ und hält ihr das andere Bein hin, damit SIE auch dieses einer angemessenen Entspannung zuführe.
Ich glaube, das war der Moment, als ich an Alice Cooper und Guillotinen denken musste. Ich fürchte, wenn ich bestimmen könnte, wer auf die Guillotine müsste, wäre die Welt sehr viel leerer. Aber auch irgendwie angenehmer. Zumindest für mich. Ich könnte mich da bestimmt sehr schnell entscheiden. Die beiden aus dem Fitnessclub hätten schon mal garantiert dazu gehört. I’m swimmin‘ in blood. Like a rat on a sewer flood. No longer insane. Just part of this crazy dream.
Ich schnappe mein Handtuch und gehe duschen und saunieren, noch bevor ich zum Mörder werde. Draußen lächelt mich wieder der Mond an. „I took a spit at the moon, it’s all in this luney tune…“, singe ich und danke still Alice Cooper für seine beruhigenden Phantasien. Und natürlich für seine Musik.
Neon!

10.000 Karmapunkte

Ich glaube, heute habe ich mir eine fette 10.000 Karmapunkte-Gutschrift verdient. Ich habe mich nämlich trotz durchaus pressierender ToDo-Liste zusätzlich vorbildlich sozialpositiv engagiert und

  • Frau Araxe zu ihrem Lebensglück und einer baldigen Hochzeit verholfen,
  • Frau Caliente hilfreiche Tipps zur Reinigung der wenigen ihr verbliebenen Wäschestücke gegeben,
  • Frau Monsterkeks‘ Zungenkussorgien abwägend aber doch unterstützend kommentiert.

Ja, ich darf sagen, ich fühle mich gut, ausgeglichen und von einer sehr positiven Grundstimmung beseelt. Ein wirklich befriedigendes Gefühl, wenn man soviel Gutes tun kann! Kann ich nur jedem empfehlen!
Neon!

Polygame Erlösung? No way!

Armageddon

Bei einer Razzia auf dem Gelände der „Fundamentalistischen Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage“ im texanischen Eldorado wurden gestern fast 200 Frauen und Kinder in Sicherheit gebracht. Gegen Sektenmitglieder wird in zahlreichen Missbrauchsfällen ermittelt. Polygamie, Inzest, sexueller Missbrauch, das volle Programm.
Als jemand, der jeder Art von Religion äußerst skeptisch gegenüber steht, halte ich das Wort „fundamentalistisch“ im Zusammenhang mit „Kirche“ ohnehin für eine klare Tautologie. Religionen (und damit auch die jeweiligen Kirchen als ihre institutionellen Verfechter) haben fast immer einen Alleingültigkeitsanspruch, der für sich alleine schon hinreichend fundamentalistisch ist, weil er keine anderen Wahrheiten neben sich erträgt. ‚Ungläubige‘ sind eben immer die anderen.
Insofern hätte man bei einer Kirche, die das „Fundamentalistisch“ schon freimütig im Namen zugibt, ja schon mal etwas genauer hinhören und hinsehen müssen. Aber: was bei jedem Mann klaren Verstandes sofort alle Warnsirenen hätte schrillen lassen müssen, ist einer der abgefahrenen Glaubenssätze der Sekte: Danach „muss ein Mann mindestens drei Frauen heiraten, um Erlösung zu erreichen“.
Brauchte es eines besseren Beweises, dass diese Sektenmitglieder nicht mehr alle Latten am Ranchzaun haben? Drei Frauen heiraten für die Erlösung??? Im Kleingedruckten der Sektenbibel steht dann wahrscheinlich ganz hinten irgendwo: „Ok, das war etwas gelogen. Mit Erlösung meinen wir natürlich Wahnsinn, Verzweiflung, Irrsinn, Depression und freiwillige Selbstopferung.“.
Andererseits hätte es ja einen gewissen Charme, wenn all diese ahnungslosen christlichen Monogamisten einst nach dem Armageddon hoffnungsfroh an ihre geliebte Himmelspforte klopfen und eine (wahrscheinlich weibliche) Stimme hören, die sagt: „Wie, nur seriell geheiratet? Sorry, da bist du hier falsch.“.
Neon!