Archiv für den Monat: Juli 2009

Ich will dich

Am vergangenen Montag wäre sie 100 Jahre geworden. Doch vor etwas mehr als 4 Jahren, an einem kalten Heidelberger Februartag, wollte sie, 96-jährig, unbedingt noch in die vereiste Innenstadt zum Einkaufen – und starb noch am selben Abend nach der Operation eines Oberschenkelhalsbruchs.
Erst heute Nacht lerne ich Hilde Domin kennen – und dass es erst jetzt ist, empfinde ich gerade als sehr peinlich. Eben lief Anna Ditges‘ Film „Ich will dich – Begegnungen mit Hilde Domin“ im SWR und ich konnte nicht aufhören, dieser wunderbaren Lyrikerin mit dem wachen und unprätentiösen Geist zuzuhören, dabei zu sein, wie sie über Erwin, ihre große Liebe spricht, mitzufühlen, wie sie vergeblich sein Grab sucht und die ihm zugedachte Rose zärtlich am Wegesrand zurücklässt.
Die Bilder und diese Frau bewegen. Und ihre ausdrucksstarken Gedichte, die ich seit einer Stunde im Web suche und lese, noch mehr. Gleich morgen werde ich „Sämtliche Gedichte“ von ihr erwerben. Und versuchen noch besser zu verstehen, wer diese kluge, gradlinige, schnörkellose Frau war.
Danke, Anna, dass du uns einander vorgestellt hast.
Neon!
Ziehende Landschaft (Hilde Domin, 1955)
Man muß weggehen können
und doch sein wie ein Baum:
als bliebe die Wurzel im Boden,
als zöge die Landschaft und wir ständen fest.
Man muß den Atem anhalten,
bis der Wind nachläßt
und die fremde Luft um uns zu kreisen beginnt,
bis das Spiel von Licht und Schatten,
von Grün und Blau,
die alten Muster zeigt
und wir zuhause sind,
wo es auch sei,
und niedersitzen können und uns anlehnen,
als sei es an das Grab
unserer Mutter.

Hinweis: Dieses Gedicht wird hier im Rahmen eines selbständigen Sprachwerks zitiert (§ 51 UrhG).

Sexy und unwiderstehlich

Zuerst wollte ich es nicht glauben. Aber seit meiner Rückkehr aus NY bemerke ich, wie wildfremde Menschen mich beim Vorbeigehen verklärt anlächeln, während sie mit ihrer Nase verzückt die Luft ansaugen, die ich verströme.
Zunächst dachte ich, mein offenes, zufriedenes, positives, sympathisch-herzliches Wesen wäre der Grund für soviel öffentliches Wohlwollen. Dann spekulierte ich, dass die Menschen plötzlich ein Auge für meine zweifelsfrei hervorragenden inneren Werte entwickelt haben. Mittlerweile glaube ich zu wissen, dass ich einfach unglaublich sexy und unwiderstehlich bin. Jedenfalls seit ich das neue Parfum von Abercrombie & Fitch benutze.
Diese Duftkombination ist offensichtlich pure Magie. Wenn Katzen Baldrian riechen, muss es sehr ähnlich sein. Selbst die süße Kassiererin bei ALDI schaut mich mit glasigen Augen an, während ich (vollkommen angezogen) Frühlingszwiebeln aufs Laufband lege. Sie atmet plötzlich schneller, streicht sich nervös durchs Haar, bändigt nur schwer das Zucken ihrer Innenschenkel und bekommt unregelmäßige Schnappatmung als ich mich zum Bezahlen herunterbeuge. Ihr Blick sagt ganz eindeutig: „Nimm mich, Neon, jetzt, hier, auf dem Warenlaufband, nenn mich ein willenloses Kassenluder und mach mir ein Kind zwischen Quark und Haselnussjoghurt“.
Gottseidank habe ich mich im Griff! Bestimmt wäre ich sonst schon Ende der Woche 20-facher Vater von Kindern, die auf Kassenbändern, Friseurstühlen und Käsetheken im besinnungslosen Rausch einer Abercrombie & Fitch Parfumwolke entstanden wären. Ich beginne langsam zu begreifen, welche schwere Bürde es sein kann, sexy und unwiderstehlich zu sein. Vielleicht werde ich daher die 2. Flasche Abercrombie & Fitch, die ich in einem Anfall von Genialität noch am letzten Tag im A&F Laden an der 5th Avenue gekauft habe, an einen Mann verschenken, der jetzt gerne schnell Vater von 50-100 Kindern werden will.
Diese bedeutende familienpolitische Maßnahme wird mich sicher bald bundesweit bekannt machen. Im September bin ich dann allererste Wahl als Kandidat für das Familienministerium. Sobald ich vereidigt bin, werde ich entscheiden, dass alle Twoday-Blogger eine kostenlose Flasche Abercrombie & Fitch Parfum erhalten und so ausreichend Gelegenheit erhalten, sich beliebig zu vermehren. Meine Blog-Abonnenten erhalten natürlich jeweils 10 Flaschen. Mindestens.
Neon!

NYC minus 2 days – Murphy time

Es war ja schon durchaus etwas aufregend, 3 Wochen vor Abflug zu erfahren, dass der Reisepass abgelaufen ist. Wenn man aber 2,5 Tage vor Abflug mehr oder weniger zufällig mitbekommt, dass man spätestens 72 Stunden vor Abflug ein seit 12. Januar 2009 eingeführtes, zwingend durchzuführendes, elektronisches Einreisegenehmigungsverfahren abgeschlossen haben sollte, wird der Puls doch etwas schneller.
Einerseits sollte man ja dankbar sein, dass man auf dem Flug nun nicht mehr die jahrelang genutzten weiß-grünen US-Einreiseformulare ausfüllen muss, andererseits hätte es ja schon einen gewissen Charme, wenn die Fluggesellschaft ihre Gäste vor Antritt des Fluges elegant darauf hinweist, dass man den ESTA-Antrag (Electronic System for Travel Authorization) nun zwingend vorher über eine Webseite der Homeland Security zu stellen hat. Ohne vorherige Genehmigung wird nämlich die Einreise verweigert.
Welch ein aufregender Sonntagvormittag – immerhin schien die 72 Stunden Frist nicht „hart programmiert“ zu sein und da ich außerdem klugerweise vermied, Fragen nach kriminellen oder sittenwidrigen Handlungen bzw. aktuellen Spionage- oder Sabotagetätigkeiten mit „Ja“ zu beantworten, wurde die Einreisegenehmigung für den kleinen und großen Neon auch sofort erteilt.
Puh, was also kommt als Nächstes? Das kann doch nicht alles gewesen sein! Ich denke, ich fahre lieber schon morgen zum Flughafen und prüfe mal 24 Stunden vorher, ob die Tickets auch als ETIX im Quick-Check-In-Automaten registriert sind. Murphy sagt: „If anything can go wrong, it will“ und „Smile … tomorrow will be worse“.
Neon!

Sieger im Stiletto-Run

Bild: Herr Mahakala in seinem Blondinenoutfit beim grandiosen Zieleinlauf
Ehre wem Ehre gebührt. Er selbst wird wieder viel zu bescheiden sein, um seine Ausnahmeleistung vom Wochenende hier öffentlich zu machen – daher übernehme ich gerne die freundschaftliche Pflicht, Herrn Mahakalas Sieg im Berliner „Stiletto Run“ am gestrigen Samstag adäquat zu würdigen.
Vor ca. 2000 jubelnden Zuschauern setzte sich Herr Mahakala in einer atemberaubenden Sprintzeit von nur 14,2 Sekunden gegenüber 100 anderen TeilnehmerInnen durch und erzielte auf den von ihm gewählten schwarzen Peeptoes (getragen zu einem schwarzen knielangen Pepitarock) einen neuen Rekord in einem waghalsigen Wettrennen auf mindestens sieben Zentimeter hohen Stilettos.
Damit hat sich seine professionelle Vorbereitung, unter anderem ein Intensiv-Stöckelschuh-Kurs „Walk on Heelz“ bei der Berliner Tanzlehrerin Ksenia Kotina als auch diverse um die beanspruchten Fesseln gewickelte Riemchen, einmal mehr ausgezahlt.
Moderatorin Sonya Kraus war begeistert: „Über Jahre hat sich Herr Mahakala zu einer dominierenden und trotzdem immer anmutigen Läuferin des Glamour Stiletto Runs entwickelt. Ich kann mir keinen würdigeren Gewinner dieses begehrten Titels vorstellen!“.
Dem möchte ich vorbehaltlos zustimmen. Bravo und Chapeau, Herr Mahakala!
Neon!
P.S. Ich selbst wurde leider nur 93.ste, bekam aber den Sonderpreis für die spitzesten Stilettos und den grandiosesten Bauchklatscher kurz vor dem Zieleinlauf.

July’s Official „Tragic Proof of a Missing ‚Why?‘ Chromosome“ Price

Atheisten haben meist ein sehr entspanntes Verhältnis zum Tod. Früher als andere haben sie reinen Tisch mit all den lieblichen Fiktionen eines weihrauchschwangeren potenziellen Weiterlebens gemacht, haben der inherenten Arroganz der vielen Ewigkeitsgläubigen, dass ebenjene eine nachhaltigere Zukunft im Anschluss an ihre körperliche Destruktion verdienten und bekämen als beliebige andere Lebewesen „niederer Gattung“, schon lange eine Absage erteilt.
Der große Irrtum des Menschen ist eben die ewige, zwanghafte Suche nach dem Sinn, nach „seinem“ Sinn. Und weil er nicht bereit ist, zu akzeptieren, dass sein Leben nur ein zufälliger Atomwimpernschlag im Universum ist, kreiert er sich das hilfreiche Narkotikum seiner ewigen post-mortalen, transformierten Geistwesenexistenz. Gottseidank (mea culpa für diesen Mismatch) sind Atheisten meist furchtbar nette Leute: sie gönnen den zwanghaften Sinnsuchern das Verbleiben in ihren baldrianesken Denkmodellen, deren Falsifizierung sie post-mortem ja sowieso nicht mehr bedauern können. Wer’s braucht – you’re welcome.
Aber ich verliere mich. Zur Einleitung des heutigen Preisträgers sollte eigentlich nur von meiner Seite gesagt werden, dass jeder Tod an sich bedauerlich ist. Und dass selbst ich als katholisch mittelstreng-erzogener und mittels strengen Nachdenkens „andersdenkend“ Gewordener dem Tod einen gewissen Respekt entgegenbringt, einfach, weil er einen unausweichlichen Schlussakkord für alle Lebewesen darstellt. Selbst so tragischen wie dem des 29-jährigen Vincent Smith II. Und obwohl man nicht sagen kann, dass Vincents Terminierung und finale Entfernung aus der menschlichen Gen-Pool-Gesamtheit auf ein herausragend dämliches Verhalten seinerseits zurückzuführen ist, so lässt seine Geschichte doch eine gewisse Stringenz und Tragik erkennen, die einen würdigen Preisträger auszeichnen.
Schon 1997 wurde Vincent in Pennsylvania aus einem Auto katapultiert und lag fürderhin lange Zeit im Koma. „Wir haben ihn schon damals verloren geglaubt“, berichtet Tante Teresa, „aber jetzt ist er wirklich gegangen“. Denn am vergangenen Mittwoch, den 8. Juli, stand Vincent nach langer Rekonvaleszenz und Arbeitssuche über einem 8-Fuß-hohen Schmelzbottich für heiße Schokolade, wo er, was Teil seiner dortigen Arbeitsaufgaben war, größere Stücke von Rohschokolade in die etwa 50 Grad heiße, bereits gut gefüllte Rührschüssel bröckelte.
Ein größerer Plan oder der Zufall wollten es, dass Vincent just in dem Moment ausrutschte und in den Behälter fiel, wo ihn außerdem unmittelbar ein rotierender metallischer Rührarm am Kopf traf und Vincents vorzeitiges schokoladiges Ende besiegelte. Obwohl Arbeitskollegen sofort den Not-aus-Schalter aktivierten, konnte der dann bereits leblose Vincent erst nach 10 Minuten aus der heißen Schokolade geborgen werden.
Die illegale und ohne Lizenz in Camden (New Jersey) produzierende Schokoladenfirma Cocoa Services, Moorestown, Burlington County, war gestern zu keiner Stellungnahme bereit.
Neon!

Das böse Karma von Hundebademänteln

Nicht dass es mir sehr leicht fiele, den hart urteilenden Herrn Pathologen im Nachhinein zu bestätigen – aber ich habe tatsächlich sachte Indikationen entdeckt, die darauf hinweisen könnten, dass Sylt doch partiell dekadente Auswüchse entwickelt hat.

Und obwohl es sicher gewichtige und absolut nachvollziehbare Gründe vorzubringen gibt, dass Hunde ohne einen eigenen Bademantel schwere Traumata erleiden und irreversible Persönlichkeitsveränderungen zu durchstehen haben, beschleichen mich, je länger ich darüber nachdenke, doch leise Zweifel, ob es nicht sinnvollere Objekte für Ausgaben im höheren 2-stelligen Euro-Bereich gibt. Klar, dass ich sofort bestürzt und mit leicht angewidertem Blick den Laden verließ – und das mit der klaren Absicht, diesen luxusgesellschaftlichen Exzess später in diesem Blog ordentlich zu filetieren.
Wie auch immer: Urlaubende Inselbesucher, die sich schuldig machen, solcherart dekadente Auswüchse nicht auf der Stelle öffentlich anzuprangern, werden offensichtlich auf dem Fuße bestraft. So rief denn auch der kleine Neon am Freitagabend mit den panischen Worten an „Scheiße Paps, der Keller läuft voll“, womit er brilliant zusammenfasste, dass wegen des Weltuntergangsunwetters in Düsseldorf die öffentlichen Abflussrohre das übergroße Wasservolumen im Zuge eines fiesen Rückstaus in angeschlossene Häuser zurückpresste und so für ungeplantes Wasserschippen sorgte.
Statt Resturlaub am warmen Syltstrand heißt es jetzt also: zügige Rückkehr, Keller grob trockenlegen, Teppich rausreißen und mit Versicherung rumärgern. Hätte ich doch bloß einen Bogen um diesen Hundeladen gemacht. Oder gleich auf Herrn Pathologen gehört.
Neon!